In unserer Informationsgesellschaft stellt Unwissen ein großes Problem dar.
Schon vor langer Zeit wurde daher für Kinder die Schulpflicht eingeführt, um sie für die Arbeit in der industriellen Fertigung einsetzen zu können.
Wissen wird als unverzichtbar angesehen, je mehr umso besser.
Doch gilt das auch für die Kreativität? Kindern sagt man nach, sie wären kreativer als Erwachsene, sie hätten ihre Kreativität noch nicht verloren.
Wer ein Kind bei seiner Entwicklung beobachten darf, kann live miterleben, wie sich es sich durch Lernen verändert. Nach der Geburt steht es nicht auf wie ein Fohlen, sondern rudert hilflos mit Armen und Beinen in der Luft. Doch der Drang zur Fortbewegung bringt das Baby dazu sich umzudrehen, manche kommen auf die Idee sich rollend fortzubewegen, dann krabbeln sie auf allen Vieren.
Erwachsene laufen aufrecht, das Krabbeln und vor allem das Rollen konnten die Kleinen daher nicht nachahmen, sie sind selber darauf gekommen. Sie sind in neue Regionen vorgestoßen, haben Grenzen überwunden, haben gelernt. Egal, mit was man die Kleinen konfrontiert, sie beginnen damit zu experimentieren, oft zum Leidwesen der Eltern.
Im Rahmen der Sozialisierung werden von den Erwachsenen Grenzen gesetzt, das hindert das Ausleben der Kreativität. Der Drang Neues zu Entdecken kann soweit unterdrückt werden, bis Kreativität automatisch Verbot bedeutet und sie daher gemieden wird.
Im Laufe des Lebens spezialisieren sich die Menschen, die einen werden Elektriker, andere Ärzte oder Rechtsanwälte. In ihrer Ausbildung haben sie ihr Wissen vertieft und sie sehen die Welt durch die Augen ihrer persönlicher Entwicklung. Für einen Betriebswirtschaftler besteht die Welt primär aus Kosten und Erlösen, für einen Elektriker aus Energie, für einen Soldaten aus Verteidigungsfähigkeit. Jede Teilansicht ist an sich richtig, nur nicht vollständig und oft widersprechen sie sich auch noch.
In einem guten Team sollten die Fähigkeiten der Mitglieder das gesamte Spektrum der Aufgabe abdecken, logisch. Gibt es Probleme mit der Qualität eines Produktes, richtet sich der Blick als erstes auf den Vertreter der Fertigung, darauf hin mischt sich die Konstruktion und dann die Wirtschaftler ein und es wird nach einer Lösung gesucht.
Zurück zu den Babys und den kleinen, ach so kreativen Kindern. Die sind kreativ, weil sie sich ins Unbekannte vor trauen. Was passiert, wenn ich Hundescheiße mit Sand vermenge und ihn breitquetsche? Die Plätzchen sind stabiler als vergleichbare Produkte, die nur aus Sand und Wasser bestehen! Es war das Unwissen, dass man mit Hundekot nicht spielt, das den Fortschritt angetrieben hat.
Überträgt man diese Gedanken auf die Besprechung, dann finden sich die wirklich kreativen Lösungen für das Qualitätsproblem nicht beim Fertigungsleiter, auch nicht in der Konstruktion oder der Betriebswirtschaft. Die kreativsten Ideen kommen von denen, die davon noch nie etwas gehört haben. Sie denken nicht an Werkzeugkosten, Standzeiten oder Rendite, sondern finden die Schlieren im Material vielleicht ganz schick, was einen Startpunkt für neue Lösungen darstellt.
Bei der Suche nach kreativen Ideen kann Unwissen daher recht hilfreich sein, bei der Weiterentwicklung zu tragfähigen Lösungen bleibt sie allerdings katastrophal.
An die Ideen der Unwissenden heranzukommen ist kein einfaches Unterfangen. Unwissen und in der Folge falsche Antworten oder schlechte Vorschläge sind unbeliebt und werden daher gemieden. „Lieber den Mund halten und für einen Idioten gehalten werden, als ihn aufmachen und jeden Zweifel beseitigen.“ In unserer komplexen, arbeitsteiligen Welt sind wir alle Spezialisten, jeder hat einen langen, harten Weg der Ausbildung hinter sich, Entbehrungen auf sich genommen um das zu erreichen, was man jetzt hat.
Und jetzt will mir ein ahnungsloser Besserwisser Vorschläge unterbreiten, wie ich meine Probleme zu lösen habe? Mische ich mich etwa in seine Aufgaben ein? Nein, eben!
Auch Hierarchien sind ein Grund, warum Ideen nicht geäußert werden. Bin ich blöd und kritisiere das bewährte Vorgehen meines Chefs? Ich will einen Firmenwagen und keinen Zoff! Nur an Weihnachtsfeiern, wenn der Glühwein Hemmschwellen abgebaut hat, trauen sich Vereinzelte die Hosen runterzulassen, nur um dies am nächsten Tag zu bereuen.
Die Sorge vor Sanktionen, wenn man etwas falsch macht, hat sich tief in unser Verhalten eingebrannt, die Selbstzensur wirkt automatisch und im Unterbewussten. Um diese Verhaltensmuster zu durchbrechen, bedarf es einer „Therapie“.
Die 13Flocken, die Consulting-Agentur, die verspricht für jedes Problem die schlechteste Lösung zu finden, ist eine solche Therapie. In diesem Rollenspiel sind die Teilnehmer alle nur Praktikanten und werden, ganz im Sinne der Firmenphilosophie, willkürlich unfair behandelt und natürlich auch ausgebeutet.
Bei der Suche nach der schlechtesten Lösung für ein Problem verschwimmen die Grenzen zwischen Abteilungen und Zuständigkeiten. Die irrsinnige Aufgabenstellung macht auf den ersten Blick jede Erfahrung obsolet. Eigentlich kann man nichts falsch machen, darum sprudeln die Ideen, sie werden aufgenommen und variiert. Die Teilnehmer erleben, dass besonders schräge Ideen die größten Belustigungen auslösen und es keinen Grund gibt, vorher groß darüber nachzudenken, was man äußert. Jede halbgare Idee wird von irgendjemanden aufgegriffen und verschlimmbessert.
Diese positiven Erfahrungen des gemeinsamen Ideensammelns übertragen sich auf das Verhalten bei ernsthaften Diskussionen. Die Furcht etwas Falsches zu sagen wird abgelöst von der freudigen Erwartung, dass die Idee aufgenommen und weitergesponnen wird. Außerdem bleibt als Fall-Back immer noch die Erklärung als Spätfolge des Trainings der 13Flocken.
So lassen sich Gedanken den „Unqualifizierten“ entlocken, die mit ganz anderen Augen auf eine Aufgabenstellung blicken. Nicht selten sprießt der Verdacht, dass das Problem so gar nicht existiert, sondern nur ein Symptom oder eine Folge von etwas ganz anderem ist.
Schafft es eine dieser Ideen tatsächlich in die Auswahl möglicher Lösungen, dann wird diese zumindest Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Bei aller Begeisterung für Neues und Innovatives darf nicht vergessen werden, dass es viele Gründe gibt, warum etwas genau so ist, wie es gerade ist.
Die Kreativität der Unwissenden hat einen Pedanten, die Kreativität der Allwissenden.
Vorhang auf für den Allwissenden!
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