Dein erster Tag in der Consulting-Agentur ’13Flocken‘.

Eine aufgehende Sonne mit dem Text "one".

“Verdammt! Ist das hellig hier!” Flocke kneift die Augen zusammen und versucht etwas in der gleißenden Helligkeit zu erkennen.

Ich schlage erschrocken das Deckblatt meines Manuskripts wieder zurück, hebe es dann vorsichtig wieder etwas an und werfe einen scheuen Blick darunter.

“Entschuldige, ich wusste nicht, dass du dahinter steckst. Was suchst du in meinem Buch über Kreativität?” frage ich den Rotschopf.

“Nichts…” mault die Kleine. “Oder noch nichts. Ich sitze gerade im Büro und hab’ geschla… gearbeitelt! Wie eine Irre!”

Ja, natürlich, sie schläft, wie schön für sie. Trotzdem wundert es mich, sie gerade hier anzutreffen. Bücher sind nicht ganz so ihr Ding, darum frag ich nach:

“Sehr lobenswert, du arbeitest also. An was arbeitest du denn, wenn ich fragen darf?” und runzle skeptisch meine Stirn. Wenn Flocke arbeitet, oder dies zumindest behauptet, dann bedeutet das meist nichts Gutes.

“Frau Slade hat mich beauftragt, ein Buch zu schreibseln. Warum tut sie das nicht selber, die blöde Kuh?” Flocke rollt genervt mit den Augen. “Sie hätte Wichtigeres zu tun, sagt sie. Ich hab auch Wichtigeres zu tun!” Sie greift von innen nach dem Deckblatt und versucht es über sich zu blättern, doch ich halte dagegen und drücke das Cover gegen die Schreibtischplatte. Dem kleinen Monster muss man die Stirn bieten, sonst hat man verloren.

Ganz klar, sie hat was Wichtigeres zu tun: Schlafen und sich von Anstrengungen erholen, die es nur in ihrer Phantasie gibt. Trotzdem kommt es mir etwas seltsam vor. Frau Slade, ihre Chefin, überträgt ihr nur wirklich entscheidende Aufgaben. Wenn also Flocke ein Buch schreiben soll, dass muss das ein besonderes Buch werden. Ich schüttle den Kopf, um mich von aufkeimenden düsteren Vorahnungen zu befreien.

“Dir ist schon bekannt, dass du dich in meinem Buch befindest, Flocke? Das schreibe gerade ich und ich bitte dich, mein Manuskript wieder zu verlassen.”

“Quatsch!” entgegnet Flocke. “Das ist mein Buch und ich bleibe!”

Ihr Hand tastet wieder nach dem Deckblatt, doch ich habe es umgeschlagen, damit die kleine Kröte es nicht zu fassen bekommt.

“Dann verrate mir doch mal, über was du schreiben sollst? Eine Anleitung, wie man aus Haushaltschemikalien psychodelische Drogen kocht, oder kleine Nuklearsprengkörper bastelt?”

Flocke stützt sich mit den Ellenbogen auf dieser Zeile ab und schüttelt den Kopf.

“Nein, leider nicht. Das wäre mir auch lieber gewesen. Über Kreadingsbums soll ich was schreiben. Das ist bestimmt irgendwas Langweiliges, sonst würde sie es selber machen.”

“Kreativität.” korrigiere ich Flocke. “Und das ist nicht langweilig, sondern…”

Meine Beunruhigung war also nicht unbegründet. Wenn Flocke ein Buch über Kreativität schreiben soll, dann ist äußerste Vorsicht angeraten. Zumindest soll sie es selber schreiben und nicht mein Manuskript entern, bevor ich überhaupt begonnen habe.

Ich hole tief Luft und sage: “Flocke. Ich schreibe ein Buch über Kreativität. Wenn es fertig ist, kannst du es lesen, aber lass mich jetzt in Ruhe arbeiten. Husch!”

Das wird in einer Katastrophe enden, sonnenklar. Aber was hilft es, denn ich hab es meinen Kindern versprochen. Sie studieren beide zur Zeit User Experience Design und bitten mich immer wieder mal um kreativen Rat. Ich bin schon lange in der Kreativbranche und habe viele Erfahrungen rund um Kreativität sammeln können.

“Langweilig! Soll ich einschlafen? Wen interessiert das?” tönt es aus der Seite. Flocke schiebt meinen nächsten Absatz ungefragt nach unten und fordert: “Schreib irgendwas lustiges. Was die Leute mögen. Schreib irgendwas über Sex, das funktioniert immer. Du weißt doch, Sex sells! So langweiligen Mist wie da oben schlägt mir Frau Slade um die Ohren!”

Dachte ich es mir doch! Das kleine Luder hat vor, sich meine Arbeit unter den Nagel zu reißen und sie anschließend als die ihre darzustellen! Was du, bedauernswerter Praktikant, bislang nicht weißt ist, dass Flocke gar nicht schreiben kann. Genauso wenig lesen. Jetzt wunderst du sich sicher, warum dann ausgerechnet sie beauftragt wurde ein Buch zu schreiben. Mich auch, aber aus anderen Gründen, daher frage ich:

“Flocke, warum ein Buch über Kreativität? Das ist doch eine recht gute Idee. Kreativität ist doch was Schönes! Da kommt doch was Gutes dabei heraus!”

Flocke lacht höhnisch “Wenn ich es schreibe?” und ich revidiere umgehend meine Meinung.

Denn die Kleine hat Recht. Im Allgemeinen wird Kreativität für etwas Schönes gehalten. Es entsteht etwas Neues, entweder mit Photoshop oder mit Wolle, bunten Perlen oder Pinsel und Farbe. Die Menschen in den Kreativberufen sind alle ja auch jung und schön, ihre Arbeit sauber, am Arbeitsplatz stehen Kickerautomaten und Orangensaft for free zur Verfügung.

Und so werden nette Produkte kreiert, die alle begeistern, den Auftraggeber und den Kunden.

Die Produkte und Dienstleistungen der Zukunft werden natürlich jetzt, in der Gegenwart, designt und entwickelt. Das bedeutet, dass der Designer bereits heute erahnen muss, was in einigen Jahren von den Verbrauchern gewünscht oder gefordert wird. Dabei geht es nicht nur um modische Ausschmückungen, sondern auch um fundamentale Änderungen im Wertesystem.

Flocke legt ihren Kopf auf diese Zeile und gähnt gequält: “Echt jetzt? Kein Schwein weiß, was in der Zukunft passierelt. Nur die, die sie machen, die Zukunft. Wie Frau Slade.”

Diese Änderungen zu erkennen, erfordert… Jetzt hat mich das kleine Monster tatsächlich aus dem Konzept gebracht mit ihrem Einwand. Du solltest wissen, Frau Slade ist die Zwillingsschwester von Flocke und die Chefin ihrer eigenen Consultingagentur, den 13Flocken.

Auf die Besonderheiten ihrer Firma möchte ich erst später eingehen, es würde dich im Augenblick nur verwirren.

“Laber, laber, laber… ist doch egal, ob die verwirrt werden. Frau Slade findet für jedes Problem die schlechteste Lösung und ich helfe ihr dabei!” grätscht Flocke schon wieder dazwischen. Sie seufzt und lehnt sich flachsig in ihren Bürostuhl zurück und schiebt den Kugelschreiber, den sie weit hinten am Clips festhält, lustlos über ein Blatt Papier vor sich.


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