Betreutes Wohnen mit KI-Blick

Kontext

Das Projekt entstand im Rahmen eines Designstudiums. Thema: Technikunterstützung für ältere, alleinlebende Menschen.
Die Ausgangslage:

  • Angehörige wohnen oft weit entfernt
  • Pflegekräfte sind überlastet
  • Es gibt bereits eine Vielzahl technischer Systeme – von Alarmfunktionen bis hin zu kamerabasierten Lösungen

Der kritische Ansatz

Viele existierende Systeme setzen auf Überwachung:
Kameras, Bewegungsmuster, Notfallalarme.
Sie schaffen Kontrolle – aber auch ein Gefühl von Misstrauen.
Die Oma wird zum Risiko. Das Zuhause zur Sensorlandschaft.

Verständlich? Ja.
Angenehm? Eher nicht.


Die Ausgangsfrage

Was ist, wenn man nicht alles sehen will – sondern nur das Wesentliche wissen muss?
Und wenn man nicht kontrolliert, sondern versteht?


Die Idee

Ein System, das keine Bilder speichert, sondern Verhaltensmuster analysiert.
Keine Livekamera, kein digitales Dauerauge, kein Kontrollzentrum.

Stattdessen:
Eine App, die lediglich ein einfaches Barometer der Befindlichkeit zeigt:

  • 🟢 Alles im erwartbaren Zustand
  • 🔴 Auffällige Veränderung
  • 🔵 Besonders gute Verfassung

Und der eigentliche Twist:

Wenn es der Oma gut geht – meldet sich das System.

Damit man Kontakt aufnimmt, bevor der Notfall eintritt.
Nicht, weil etwas passiert ist – sondern weil es noch nicht passiert ist.

Gerade bei Menschen mit Demenz – insbesondere Alzheimer – ist das entscheidend:
Viele erleben wechselhafte Zustände. Es gibt Stunden oder Tage, in denen sie
klar, ansprechbar und emotional präsent sind.
Diese Phasen gehen oft ungesehen vorbei, weil niemand sie erkennt.

Das System macht sie sichtbar –
und erinnert daran, dass Verbindung nicht nur im Krisenfall,
sondern im guten Moment zählt.


Regelbruch: Was hier bewusst anders läuft

  1. Nicht zeigen, sondern andeuten
    Klassische Techniklösungen setzen auf Sichtbarkeit – Livebilder, Dashboards, genaue Daten.
    → Dieses Projekt zeigt nichts. Nur eine Stimmungsfarbe. Eine Geste statt Kontrolle.
  2. Gute Zustände sichtbar machen
    Systeme warnen typischerweise bei Gefahr (Alarm, Rotlicht, Piepton).
    → Hier meldet sich die Technik, wenn es keinen Grund zur Sorge gibt. Ein Signal für den guten Moment.
  3. Datenschutz durch radikale Absenz
    Übliche Ethiklösungen verstecken oder anonymisieren Daten.
    → Dieses System vermeidet sie komplett. Kein Bild, kein Ton, keine Speicherung.
  4. Pflege nicht professionalisieren – sondern personalisieren
    Viele Systeme entlasten Angehörige durch Delegation an Dienstleister oder Technik.
    → Dieses System will das Gegenteil: eine Erinnerung daran, selbst aktiv zu bleiben.
  5. Vertrauen statt Redundanz
    Normale Sicherheitssysteme bauen auf Redundanz und Absicherung.
    → Hier steht eine gewagte Idee: Dass weniger Information zu mehr Verbindung führen kann.
  6. Kontrolle als Illusion entlarvt
    Technische Überwachung suggeriert Einfluss – als könne man durch Beobachtung eingreifen.
    → Doch in Wirklichkeit ist man meist zu spät oder zu weit weg.
    Dieses System akzeptiert die Ohnmacht – und lenkt den Fokus auf Anwesenheit, solange es geht.

Was daraus entstehen kann

KI als Schutzengel

Erkennt Risiken, bevor sie gefährlich werden – ohne Überwachung.

Neue Form der Nähe

Nicht ständig hinschauen – sondern im richtigen Moment da sein.

Datenschutz mit Augenmaß

Keine Bildübertragung, keine Aufzeichnung – nur Verhalten wird interpretiert.

Design mit Erfahrung

Persönliche Geschichten fließen ein – z. B. vom Großvater mit Alzheimer,
der regelmäßig nachts um drei den Frühstückstisch deckte.


Erweiterung: Langzeitbeobachtung ohne Eingriff

Dieses System kann auch im medizinischen Kontext sinnvoll sein – ohne klassische Überwachung:

  • Langfristige Verhaltensverläufe
    Leise Hinweise auf körperliche oder kognitive Veränderungen werden sichtbar – ohne Tagebuchpflicht.
  • Feinfühlige Diagnostik bei Demenz oder Depression
    Der Wandel kommt oft schleichend. Unregelmäßigkeiten in Bewegung, Routinen oder Aktivitätsmustern sagen mehr als einzelne Vorfälle.
  • Dokumentation ohne Stigmatisierung
    Kein „Überwachtwerden“, keine Eingriffe in die Privatsphäre – sondern sanftes Kontextverstehen.
  • Verlaufsbild statt Momentaufnahme
    Ärzt:innen erhalten eine zusätzliche Ebene zwischen Anamnese und Beobachtung – kontinuierlich, aber unaufdringlich.

Das System sieht keine Symptome – aber es erkennt Tendenzen.
Und manchmal ist das sogar aussagekräftiger.


Die schlechteste Lösung – im Dialog

[Szene: großer Beratungsraum der 13 Flocken. Ein erwachsener Sohn betritt den Raum. Nervös, mit Smartphone in der Hand.]

Sohn:
Ich hab da mal ne Frage … meine Mutter ist dement.
Alle sagen, ich soll so ein Überwachungssystem installieren.
Mit Kamera, Mikrofon, Bewegungsmelder.
Am besten mit Cloud-Backup. Was haben Sie denn da?

13Flocken:
Oh, wir haben was ganz Schlimmes.

Sohn:
Schlimm gut?

13Flocken:
Nein. Schlimm schlecht.
Es zeigt keine Bilder. Keine Daten. Kein Live-Feed.
Es meldet sich nur, wenn’s deiner Mutter gut geht.

Sohn:
Warte mal. Das Ding piept, wenn sie fröhlich ist?

13Flocken:
Fast. Es sendet ein Signal. Ein kleines Blau.
Ein: „Jetzt wäre ein guter Moment, sie anzurufen.“

Sohn:
Aber ich will doch wissen, ob sie gestürzt ist!

13Flocken:
Tut es auch. Es meldet sich, wenn’s auffällig wird.
Aber der Clou: Es erinnert dich daran, dass sie noch nicht gestürzt ist.
Dass sie noch da ist. Vielleicht klar. Vielleicht in der Stimmung, dich zu erkennen.

Sohn:
Und was seh ich?

13Flocken:
Nichts. Kein Bild. Nur:
🟢 Alles okay
🔴 Veränderung
🔵 Guter Moment

Sohn:
Und was, wenn sie nackt durch die Wohnung tanzt?

13Flocken:
Dann bekommst du ein 🟢.
Oder vielleicht ein 🔵. Je nach Rhythmus.

Sohn:
Das ist doch verrückt.

13Flocken:
Danke. Das hören wir gern.

Sohn:
Aber ich will Kontrolle!

13Flocken:
Nein. Du willst das Gefühl von Kontrolle.
Du willst die Illusion, dass du eingreifen kannst – während du in der Zoom-Konferenz sitzt.
Dieses System zeigt dir stattdessen:
Jetzt. Jetzt ist sie da. Ruf an.

Sohn:
Und wenn ich nicht anrufe?

13Flocken:
Dann war der Moment halt vorbei.
So ist das mit Menschen.

Sohn:
Und wer sagt mir, dass das funktioniert?

13Flocken:
Niemand.
Aber es ist die schlechteste Lösung,
die sich wie eine gute anfühlt.

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