
Kontext
Die Idee in Kürze:
Stell dir eine Stadt vor, in der du im Baum wohnst – nicht im Baumhaus, sondern im lebendigen Stamm selbst. Fenster wachsen mit. Wände atmen. Dächer verzweigen sich. Eine Stadt, die nicht gebaut, sondern gezogen wird. Aus lebendigen Bäumen, die zu Häusern, Brücken, Dächern werden. Langsam wachsend, gepflegt statt geplant, über Generationen hinweg.
Warum das ein Regelbruch ist
Kreative Regelbrüche wirken dann sehr stark, wenn sie gegen etwas Bestehendes oder Verinnerlichtes verstoßen. Die Regeln, gegen die die „wachsende Stadt“ sich stellt, stammen aus verschiedenen, oft unhinterfragten Quellen:
1. Konventionen der Disziplin
- Gebäude müssen normgerecht, sicher, dauerhaft, skalierbar sein.
- Planung soll effizient und wirtschaftlich sein.
- Eigentum schafft Kontrolle, Besitz schafft Verantwortung.
2. Gestaltungspraxis und Erwartungshaltung
- Entwerfen = Planen, Bauen, Fertigstellen.
- Organisches Wachstum gilt als unkontrollierbar und damit als Risiko.
- Zeitverzögerung ist ein Mangel, kein Prinzip.
3. Gesellschaftliche Denkrahmen
- Zeit = Geld. Schneller ist besser.
- Natur = Dekoration, nicht Struktur.
- Was nicht verkauft werden kann, hat keinen Wert.
Gegen all das stellt die „wachsende Stadt“ eine stille, radikale Alternative. Kein naiver Öko-Traum, sondern ein bewusster Bruch mit etablierten Paradigmen. Und gerade dadurch: ein visionärer Vorschlag.
Der kreative Regelbruch:
Die Entwurfsidee stellt zentrale Prinzipien der Architektur und Stadtplanung radikal infrage:
- Statt schnelle Umsetzbarkeit: extrem langsames Wachstum.
- Statt Planung durch Expert:innen: Pflege durch Gemeinschaft.
- Statt tote Materialien: lebendiges, unkontrollierbares Organisches.
- Statt Eigentum und Kontrolle: kollektive Verantwortung und Genossenschaftsmodelle.
- Statt kurzfristiger Effizienz: langfristige, generationenübergreifende Prozesse.
Gerade dieser Bruch mit den üblichen Regeln urbaner Gestaltung – Skalierbarkeit, Kontrolle, Planbarkeit, Rentabilität – eröffnet neue Denk- und Möglichkeitsräume. Die „wachsende Stadt“ ist ein Protest gegen das Dogma des Immer-Schneller-Bauens – und eine Einladung zur radikal anderen Zukunft.
Ein studentisches Spekulativdesign-Projekt zur Stadt der Zukunft.
Während andere Studierende Themen wie Begrünung, Elektromobilität oder 15-Minuten-Städte bearbeiteten, ging eine einzelne Person radikal einen Schritt weiter – und stellte die gewohnte Idee von Architektur komplett infrage.
Städte bestehen aus Beton, Stahl, Glas – totes Material.
Was wäre, wenn Städte wachsen könnten?
Nicht gebaut – sondern gezogen. Nicht geplant – sondern gepflegt.
Die Entwurfsidee: eine Stadt aus echten Bäumen.
Häuser, Dächer, Brücken, Fassaden – nicht errichtet, sondern gelenkt.
Beginnend mit leichten Unterkonstruktionen oder existierenden Gebäuden, an denen Pflanzen gezogen, gelenkt und zusammengeführt werden.
Wie bei einer Weidenhütte – nur größer. Viel größer.
Im Laufe von Jahrzehnten oder Jahrhunderten entstehen neue Räume aus lebendigem Holz.
Die Stadt atmet. Sie wandelt CO₂ in Holz und Sauerstoff um. Sie verändert sich. Sie ist organisch.
Die größte Herausforderung für uns jetzt liegt im Zeitverständnis:
Das Projekt denkt in Jahrhunderten. Wachstum als Planungszeitraum. Geduld als Strategie.
Ein lebendiges Haus lässt sich nicht versetzen, nicht ersetzen. Es muss geschützt werden – nicht durch Eigentum, sondern durch eine Genossenschaft, die Zeit, Wissen und Verantwortung gemeinsam trägt.
Neue Berufe für neue Städte
Wenn Häuser nicht gebaut, sondern gepflegt werden –
wenn Architektur lebendig ist –
dann braucht es Menschen, die mehr können als CAD, Statik und Ausschreibung.
Die „wachsende Stadt“ verlangt nach neuen Rollen:
- Pflanzenarchitekt:in
Nicht nur Gestaltung, sondern Wachstumskunde: Wie lässt sich ein Baum formen, ohne ihn zu verletzen? - Raumgärtner:in
Pflegt die Übergänge zwischen Wohnen und Wachsen. Führt Äste, verbindet Triebe, lebt zwischen Innen und Außen. - Bauökopsycholog:in
Vermittelt zwischen Menschen, Pflanzen und den Bedürfnissen beider. Erkennt Konflikte, bevor sie auswachsen. - Zeitplaner:in
Denkt nicht in Projektphasen, sondern in Generationen. Entwickelt Szenarien, wie Wissen weitergegeben wird. - Lebensraumwart:in
Zuständig für das Gleichgewicht zwischen menschlicher Nutzung und tierischer Mitbewohnerschaft.
(Spinnen, Ameisen, Vögel – alle wohnen mit.)
Diese Berufe existieren nicht. Noch nicht.
Aber wer mit einer Idee alte Regeln bricht, schafft Platz für neue Möglichkeiten – auch beruflich.
In dieser neuen Lebensart existieren natürlich auch die modernen Technologien wie Künstliche Intelligenz, jedoch dienend, nicht beherrschend.
Was daraus entstehen kann:
- CO₂ als Baustoff: Bäume binden Kohlenstoff – statt CO₂ zu verursachen, wird es entnommen.
- Zukunftsimmobilien mit Verantwortung: Wer einzieht, übernimmt Pflege – nicht nur Besitz.
- Langsames Stadtwachstum: Neue Gebäude entstehen über Generationen – Wissen wird vererbt.
- Bewohnbare Ökosysteme: Häuser als lebendige Organismen mit eigener Dynamik.
Holzberge statt Hochhäuser
Mit jeder Generation wächst das Geflecht.
Häuser verbinden sich zu Siedlungen,
Siedlungen zu Hügeln aus Holz,
die sich langsam auftürmen –
nicht in Etagen, sondern in Jahresringen.
Keine Skyline aus Glas –
sondern eine Holzlandschaft,
verwoben, verwuchert, verwurzelt.
Ein lebendiges Gebirge.
Diese Stadt speichert nicht nur CO₂ – sie lagert es dauerhaft ein.
Wie einst die Moore, in denen tote Bäume versanken,
werden hier lebendige Bäume zu stehenden Kohlenstoffsenken.
Und sollte sich in ein paar hundertausend oder millionen Jahren zu wenig CO₂ in der Atmosphäre befinden, dann zündet man eben so einen Berg an.
Die schlechteste Lösung
„Warum das garantiert nicht funktioniert.“
Auftraggeber:
Okay, lassen Sie uns ehrlich sein:
Sie schlagen ernsthaft vor, dass Häuser… wachsen?
Flocken-Mitarbeiter:
Ja. Es ist im Prinzip wie Bauen – nur ohne Bauen.
Und mit mehr Jahresringen.
Auftraggeber:
Und wie lange dauert das?
Flocken-Mitarbeiter:
Im besten Fall: mehrere Generationen.
Im schlechtesten Fall: Ewig.
Auftraggeber:
Also keine Planbarkeit, kein fester Übergabetermin?
Flocken-Mitarbeiter:
Nope. Dafür bekommen Sie lebendige Architektur, die CO₂ speichert, Schatten wirft, Lebensräume schafft und sich nicht abreißen lässt.
Quasi ein Albtraum für jeden Investor.
Auftraggeber:
Und wem gehört das Ganze dann?
Flocken-Mitarbeiter:
Niemandem. Oder allen.
Wir arbeiten mit Genossenschaften, damit niemand auf die Idee kommt, das gewachsene Haus mit Glasbalkon und Penthouse zu veredeln.
Auftraggeber:
Klingt nach Kontrollverlust auf Wurzelebene.
Flocken-Mitarbeiter:
Absolut. Und stellen Sie sich vor:
Die Leute, die einziehen, pflegen das Haus, statt es zu besitzen.
Sie kennen den Baum, gießen ihn, flechten neue Äste ein.
Man lebt im Baum – und mit dem, was sonst so dazugehört:
Spinnen, Ameisen, Moos. Biologische Untermieter deluxe.
Auftraggeber:
Sie merken schon, das lässt sich nicht skalieren.
Flocken-Mitarbeiter:
Perfekt. Dann bleibt’s endlich mal klein.
Auftraggeber:
Keine Bauphase, kein Verkaufsplan, keine Marge.
Flocken-Mitarbeiter:
Willkommen in der schlechtesten Lösung, die man sich denken kann.
Langsam. Unbequem. Ökologisch sinnvoll. Und leider ziemlich schön.
Auftraggeber:
…Ich hasse es, das zu sagen – aber da steckt was drin.
Flocken-Mitarbeiter:
Tja. Wir haben’s versucht, Ihnen auszureden.
Mehr können wir nicht tun.
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